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Defensives Umschalten im Fußball – Durch schnelle Rückeroberungen des Balles zum Erfolg?

Nicht nur internationale Topteams (wie z.B. Liverpool) sondern auch die nationalen Spitzenteams (Bayern, Leipzig) überzeugen durch ihr schnelles und aggressives Gegenpressing bei Ballverlust. Dadurch können sie den Ball in unmittelbarer Nähe zum gegnerischen Tor gewinnen oder das Spielgeschehen über einen hohen Ballbesitzanteil selbst bestimmen. Doch wie entscheidend ist das schnelle Umschalten nach Ballverlust am Ende wirklich? Eine Studie hat sich damit beschäftigt.

Originalstudie: Defensive transition in soccer – are prompt possession regains a measure of success? A quantitative analysis of German Fußball-Bundesliga 2010/2011 (Vogelbein, Nopp & Hökelmann, 2014)

Zusammenfassung:

Ziel der Studie war die Untersuchung der Zeit, die deutsche Bundesligateams für die Rückeroberung des Balls (defensive reaction time) benötigen. Außerdem sollte der Einfluss dieser Zeit auf den Erfolg betrachtet werden, um Unterschiede zwischen Topteams und schwächeren Teams in der Tabelle zu identifizieren. Insgesamt wurden 306 Spiele der Saison 2010/2011 analysiert. Topteams konnten den Ballbesitz am schnellsten Wiedergewinnen und zeigten geringere Werte der defensive reaction time als Teams in der Mitte oder am Ende der Tabelle. Insgesamt stellte sich ein schnelles und erfolgreiches Rückerobern des Balles als Erfolgsfaktor in der Bundesligasaison 2010/2011 dar.

Theoretischer Hintergrund:

Spielstatistiken legen den Fokus häufig auf Parameter der Ballbesitzphase (Schüsse, Pässe, Ballbesitzanteil, etc.) und auch die Wissenschaft interessiert sich sehr für diese Spielphase. So besitzen Topteams den Ball in der Regel länger als ihre Gegner unabhängig des Spielstandes, jedoch bringt mehr Ballbesitz keinen Vorteil in Ligaspielen von zwei Mannschaften gleicher Qualität (Collet, 2013). Stattdessen scheint höhere Effektivität (z.B. das Verhältnis von Schüssen zu Schüssen auf das Tor) erfolgreiche von nicht erfolgreichen Teams zu unterscheiden (Collet, 2013; Hughes & Franks, 2005). Aber auch die Defensive hat einen bedeutenden Einfluss auf den Erfolg. Die Mechanismen, um einen Ball zurückzuerobern, sind ein wichtiger Faktor dieser Defensivarbeit. Allerdings bestehen dazu wenig wissenschaftliche Informationen, obwohl einzelne Untersuchungen zum Beispiel zeigen, dass der Ort der Balleroberung (möglichst weit vorne) die Erfolgschancen beeinflusst (Garganta, Maia & Basto, 1997; Larson, 2001). Aus diesen Gründen verfolgte die Studie das Ziel, die Zeit von deutschen Bundesligateams zu quantifizieren, die von Moment des Ballverlusts bis hin zur Rückeroberung (defensive reaction time) benötigt wird.

Untersuchungsablauf & Stichprobe:

Es wurden 306 Spiele der Bundesligasaison 2010/2011 analysiert. Die beobachteten Mannschaften wurden entsprechend ihrer Abschlussplatzierung in der Tabelle in drei Gruppen (Platz 1-6, Platz 7-12 und Platz 13-18) eingeteilt. Die defensive reaction time, also die Zeit zwischen Ballverlust und Rückeroberung, wurde jeweils in Sekunden gemessen. Von allen erhobenen Zeiten wurde schließlich der Mittelwert berechnet.  Außerdem wurde der jeweilige Spielstand (Führung, Gleichstand oder Rückstand) berücksichtigt. Die Daten wurden durch verschiedene statistische Verfahren ausgewertet, um signifikante Unterschiede aufdecken zu können.

Ergebnisse:
defensive reaction time in Abhängigkeit der Tabellenplatzierung und des Spielstandes
Talktics-Fazit:

Spitzenteams scheinen den Ball nach einem Ballverlust schneller zu erobern als schwächere Teams. Dadurch ergeben sich verschiedene Vorteile. Zum einen wird das gegnerische Spiel unterdrückt, wodurch die Gegenspieler ihre Sicherheit und ihr Selbstvertrauen verlieren können. Zum anderen kann das eigene Spiel konsequenter durchgesetzt werden, wenn der eigene Ballbesitzanteil steigt und folgerichtig mehr Einfluss auf den Spielverlauf und die Spieldynamik genommen werden kann. Außerdem können Ballgewinne gerade im vorderen Bereich die Erfolgschancen deutlich erhöhen, sofern nach Ballverlust sofort ein aggressives Gegenpressing erfolgt. Nicht grundlos hat Jürgen Klopp das Gegenpressing als „besten Spielmacher der Welt“ bezeichnet. Das Umschalten nach Ballverlust erscheint heutzutage wichtiger denn je, um den Gegner frühzeitig vor Probleme zu stellen. Trainer sollten versuchen, den Spielern in jedem Training das direkte Gegenpressing einzuimpfen, damit es im Spiel zum gewünschten Erfolg führt.

Hier findet ihr ein paar Übungen und Spielformen zum Gegenpressing:

Vogelbein, M., Nopp, S., & Hökelmann, A. (2014). Defensive transition in soccer–are prompt possession regains a measure of success? A quantitative analysis of German Fußball-Bundesliga 2010/2011. Journal of sports sciences32(11), 1076-1083.

Collet, C. (2013). The possession game? A comparative analysis of ball retention and team success in European and international football, 2007–2010. Journal of sports sciences31(2), 123-136.

Hughes, M., & Franks, I. (2005). Analysis of passing sequences, shots and goals in soccer. Journal of sports sciences23(5), 509-514.

Garganta, J., Maia, J., & Basto, F. (1997). Analysis of goal-scoring patterns in European top level soccer teams. Science and football III, 246-250.

Larson, O. (2001). Charles Reep: A major influence on British and Norwegian football. Soccer & Society2(3), 58-78.