Entscheidungsfindung und visuelle Wahrnehmung als Unterscheidungsmerkmal von jugendlichen Fußballern?

Amateure und Profispieler unterscheiden sich häufig nur geringfügig in technischen oder taktischen Aspekten. Stattdessen sind es vor allem physische Aspekte (wie Ausdauer und Dynamik) oder die Fähigkeit, auf dem Fußballplatz handlungsschnell zu agieren. Eine Teilkomponente dieser Handlungsschnelligkeit ist die Entscheidungsfindung, die der letztendlichen Handlung (z.B. ein Pass, ein Schuss) vorausgeht. Doch wie funktionieren Entscheidungsprozesse im Fußball und wie unterscheiden sich Jugendspieler verschiedener Leistungsniveaus darin?

Originalstudie: Mechanisms Underpinning Successful Decision Making in Skilled Youth Soccer Players: An Analysis of Visual Search Behaviors (Vaeyens, Lenoir, Williams & Philippaerts, 2010)

Ziel der Studie

Diese Untersuchung setzte sich zum Ziel die Mechanismen aufzudecken, die erfolgreiche Entscheidungen von jungen Fußballspielern begünstigen.

Theoretischer Hintergrund

Talentierte Athleten zeigen höhere Leistungen in der Entscheidungsfindung als weniger talentierte Athleten. Dabei ist eine Vielzahl von Wahrnehmungs- und kognitiven Fähigkeiten beteiligt, die eine flexible und schnelle Abwägung von potenziellen Lösungen ermöglicht. Die genauen Mechanismen sind jedoch nicht endgültig geklärt, weshalb in dieser Studie die Entscheidungsfähigkeiten in Abhängigkeit des visuellen Suchverhaltens („visual search behavior“) betrachtet wurden.

Methode & Design

An der Studie nahmen Jugendliche verschiedener Leistungsniveaus teil („elite“, „subelite“ und „regional“), die im Schnitt zwischen 14 und 15 Jahren alt waren. Die „Elite“-Spieler spielten in einer Jugendmannschaft eines Erstligisten, die „Subelite“-Spieler in Jugendmannschaften von Zweit- oder Drittligisten und die „Regional“-Spieler in regionalen Jugendteams. Die durchschnittliche Erfahrung im Fußball lag bei den „Elite“-Spielern (8.5 Jahre) etwas höher als die der „Subelite“-Spieler (8.2 Jahre) und der „Regional“-Spieler (7.3 Jahre).

Die Wahrnehmungsfähigkeiten sowie kognitiven Fähigkeiten wurden anhand von Fußballszenen erhoben, die Spielsituationen eines zentralen offensiven Mittelfeldspielers simulierten. Den Probanden wurden Szenarien verschiedener Spielerzahlen vorgespielt (z.B. 2 vs. 1 oder 5 vs. 3).
Das visuelle Suchverhalten (Beobachtung der Spielsituation) wurde anhand des „eye-head integration“ (EHI) gemessen, durch das die Augenbewegungen und -fixationen getrackt werden können.

Die Probanden standen vor einer lebensgroßen Leinwand, auf der insgesamt 33 Spielszenen abgespielt wurden. Die Szenen waren so aufgenommen, dass sich die Spieler selbst als ein Teil der Spielsituation sehen konnten. Sobald sie angespielt wurden, hatten sie drei Möglichkeiten, um in echt auf die Situation zu reagieren:

  1. Ball zu einem Spieler auf der Leinwand passen
  2. Den Ball auf das Tor schießen
  3. Sich bewegen, um ein Dribbling einzuleiten

Die Entscheidungen wurden mit den (durch sieben Trainer) festgelegten idealen Lösungsmöglichkeiten abgeglichen. So konnten zwei Gruppen gebildet werden: eine erfolgreiche und eine weniger erfolgreiche Gruppe in den Entscheidungsfähigkeiten. Zusätzlich wurden die visuellen Daten analysiert und schließlich alle Daten ausgewertet.

Vaeyens, Lenoir, Williams & Philippaerts, 2010

Ergebnisse

  • In der erfolgreichen Gruppe waren deutlich mehr Spieler der höheren Leistungsniveaus („elite“ und „subelite“)
  • Ein Großteil der „regionalen“ Spieler ordnete sich in der weniger erfolgreichen Gruppe ein
  • Erfolgreiche Spieler treffen mehr tor-orientierte Entscheidungen (Torschuss oder zielführender Pass in Richtung des Tores)
  • Erfolgreiche Spieler entscheiden sich schneller
  • Erfolgreiche Spieler fixieren länger Spieler in Ballbesitz und wechseln mit höherer Frequenz zwischen diesem Spieler und anderen Bereichen des Feldes
Talktics-Fazit:

Wie erwartet bestätigt sich folgende Aussage: Talentierte Fußballer treffen häufig bessere Entscheidungen als weniger talentierte Spieler. Hinzu kommt, dass sie auch schneller Entscheidungen treffen, was nicht zuletzt an den Unterschieden in der visuellen Wahrnehmung liegt. Was bedeutet das für den Trainer?

Trainer sollten versuchen jede Trainingseinheit das bestmögliche Setting für eine Verbesserung dieser Fähigkeiten zu schaffen. Dieses Setting enthält möglichst viele Situationen und Momente, in denen die Wahrnehmung sowie das Treffen von Entscheidungen gefragt ist. Dazu eignen sich vor allem Spielformen oder spielnahe Übungsformen mit verschiedenen Handlungsoptionen.
Zudem sollten Trainer aufhören eine „richtige“ Lösung vorzugeben, stattdessen müssen Spieler selbstständig Entscheidungen treffen können. Der Trainer kann diesen Lernprozess durch z.B. divergente Fragen unterstützen.
Ergänzend kann der Trainer seine Spieler für die Aspekte der visuellen Wahrnehmung sensibilisieren, indem er diesen leistungsrelevanten Faktor erläutert und die Spieler auffordert, immer wieder Spielsituationen bewusst wahrzunehmen und anschließend diesen Wahrnehmungsprozess zu reflektieren.

Vaeyens, R., Lenoir, M., Williams, A. M., & Philippaerts, R. M. (2007). Mechanisms underpinning successful decision making in skilled youth soccer players: An analysis of visual search behaviors. Journal of motor behavior39(5), 395-408.